Tunguska-Nomaden

W enn Du über die nördlichen Steppen wanderst, und auf einmal wirst Du eines fernen Geräusches gewahr, erst das leise Trappeln vieler Füße, bald schon ein donnerndes Gehämmer, und Deine Sicht wird von einer meterhohen Staubwolke genommen, dann kannst Du Deinen Kopf darauf verwetten, daß eine Horde der Tunguska Deinen Weg kreuzt. Und Du tätest gut daran Dir einen sicheren Ort zu suchen, denn die Zottel, wie sie die langhaarigen kleinen Rinder nennen die ihre Herden bilden, sind für ihre Kurzsichtigkeit ebenso wie ihre Sturheit bekannt. Was nicht die einzige Gemeinsamkeit mit ihren Herren ist.

Die Gruppe besteht aus 5 bis 30 Erwachsenen und etwa halb sovielen Kindern. Die Größe hängt von der Fruchtbarkeit des Landes ab, durch das sie ihre Herden auf der Suche nach neuen Weiden treiben. Die Herden selbst sind an Zahl etwa doppelt so groß wie ihre Hirten.

Zusammengehalten und geleitet wird die Horde durch den "Patra", einen meist alten Mann, von dem alle anderen irgendwie abstammen. Seine direkten männlichen Nachkommen leiten in seinem Namen die anderen. Die Frauen heiraten fast nie in der eigenen Gruppe. Bei den jährlichen Fruchtbarkeitsfesten im Frühling und im Herbst, wo die Herden zusammengetrieben werden und in den Jurten der Tauschhandel blüht, finden sich Paare über die Grenzen ihres Stammes hinweg und das Mädchen folgt ihrem Burschen.

Daß ein Mann mehr als eine Frau haben kann, wird zwar nicht durch ein Gesetz verhindert, aber die Verpflichtung, für die seinen zu sorgen, ist eine moralischer Grundsatz, der bei den Tunguska viel schwerer wiegt als jede Regel, die ihnen von außen aufgezwungen wird.

Äußerlich erkennt man sie sofort. Die Haare, sofern sie nicht aus Trauer kurz geschoren wurden, sind zu einem wilden Schopf zusammengebunden. Sie tragen Silberschmuck und ihre Haut, vor allem im Gesicht und oft auch auf den Armen, ist mit Tätowierungen in Form von Linien, Spiralen, einfachen Symbolen und Punktlinien verziert. Ihre Kleidung ist zweckmäßig für Reiter und Wanderer.

Die Frauen sind, nach den Gerüchten und Beobachtungen der Wenigen, die einige Zeit in einer Familie zubrachten, ruhig und immer mit irgend einer Arbeit beschäftigt. Ihre selbstgemachten Lederstiefel sind angeblich fast unzerstörbar, ihr Essen scharf und fett, ihre Entschlossenheit, die Kinder zu schützen, vermag sie in rasende Furien zu verwandeln und für die Liebe zu einem Mann können sie lange Tagesmärsche auf sich nehmen. Wenige wurden bisher auf einem Pferd gesehen.

Die Pferde der Tunguska sind klein und stämmig. Aber auch wenn sie berühmt für ihre Ausdauer sind, so sind sie doch weit weniger verbreitet, als angenommen wird. In vielen Gruppen besitzen nur die Treiber und der Patra ein eigenes Tier. Einige kleine Familien, speziell die in den Tundara-Bergen, kommen gänzlich ohne sie aus. Gerade diese Gruppen zeichenen sich durch die geringe Zahl ihrer Mitglieder und den besonderen Wettspaß aus, dem sie bei jeder Gelegenheit fröhnen. Also solltest Du, werter Wanderer, Deinen Kopf vielleicht doch nicht verwetten (s.o.).

Was die Tunguskas in Tundara betrifft, so wird berichtet, daß sie die Grenzen der Ansiedlungen anderer achten, und mit einigen Dörfern regelrechte freundschaftliche Beziehungen pflegen. In diesem Fällen entwickelt sich ein reger Handel mit Fleisch, Fellen und anderen Tierprodukten (Düngung ist gut für den Ertrag). Als Gegenleistung erhalten sie Brot, Met, Käse, den die Dörfler aus der gelieferten Milch erzeugen, Salz aus dem Süden, Gewürze, Metallwerkzeuge und Fisch.

Den langen Winter verbringen sie in Höhlen in den Bergen nahe dem Hochlager in den Ruinen von Anjara. Diese Höhlen, die von den übrigen Bewohnern Tundaras wegen ihrer Vegangenheit seltsamerweise gemieden werden (sicher nicht ganz ohne Nachhilfe durch die Nomaden), ziehen sich tief in die Berge hinein. Dort bauen sie ihre Jurten auf und stellen die Zottel unter, die vom Sommerfett und den Vorräten leben müssen. Ein langer Winter kann da schon eine ganze Herde verhungern lassen.

Sobald der Frühling die Tagestemperaturen auch nur nahe dem Gefrierpunkt bring, ziehen die Tiere hinaus und suchen unter der Schneedecke nach Flechten und dürrem Gras. Und wenn der Schnee schon an einigen Stellen weggeschmolzen ist, kommen die Jungtiere zur Welt. Obwohl das Wetter eigentlich noch zu kalt ist, läßt sich der Zeitpunkt nicht hinauszögern. Zu kurz ist der Sommer, und die Jungen müssen jeden Halm in sich hineinstopfen, um den nächsten Winter zu überleben.

Manchem Wanderer wird das Leben zu beschwerlich und er sucht den Anschluß an ein Dorf. Wenn er eine Frau findt, die seine Einstellungen toleriert oder der er sich anpassen kann, so ist die Aufnahme meißt nur eine Frage der Zeit. In den Dörfern können die Nomaden Ihrem Glauben an den "Reiter", ihren gottgleich verehrten Stammvater, weiterhin folgen, nur wenn ein Sturmgottpriester mit Gefolge vorbeizieht, kann es zu Problemen kommen. Die Dorfbewohner versuchen dabei den Frieden zu wahren und bedenken den Priester mit freundlicher Ignoranz, während die ehemaligen Nomaden ihr heißes Blut kaum zurückhalten können und schon mancher Gottesmann sein unrühmliches Ende bei einem Disput über den Wahren Glaube gefunden hat. Jedem das seine.

siehe auch: Tundara II Spielbericht