Das Geheimnnis des Bildteppichs der Gárhïs

Im silbernen Licht des Mondes wird in der Mitte des Teppichs eine Szene lebendig:

Eine große Gruppe von Leuten aller Altersstufen mit Wagen und Herden steht am Rande eines riesigen, verbrannten Kraters, dessen Rand am Horizont verschwindet. Der Boden des Kraters ist nur undeutlich in großer Tiefe als spiegelnde Ebene zu sehen.

“Das war einst unser Heimatland, die Heimat des Volkes der Nà-gárhïs. Das war alles was von unserer Heimat übrig blieb nach dem ersten und letzen Konflikt der Magierkriege.”

Die Szene in der Lichtsäule verändert sich: Ein Teil der Personen scheint nach heftigen Diskussionen zu packen und in Richtung Berge aufzubrechen.

“Wir flohen vor der Zerstörung und kehren zurück sobald wir konnten. Dies war was wir vorfanden und es herrschte Trauer und Verwirrung. Dann kam die Wut über das was passiert war und durch was es verursacht wurde. Es herrschte Uneinigkeit unter den Clans was nun zu Tun sei. Einige wollten dem Gebrauch von Magie völlig entsagen und andere wollten die Magie weiter benutzen um das Land zu Heilen und so den Clans das Überleben zu sichern. Zwischen diesen beiden Positionen war kein Kompromiß möglich - Unstimmigkeit würde zu Argumenten und Argumente wurden zu Haß. Der Punkt war gekommen wo die Clans sich besser trennten bevor Haß zur Blutfedhe wurde. Und so zogen die Bàndagárhïs, das Zaubervolk Richtung Westen in die Berge zurück, sie wurden später zum Verlorenen Volk, den Lihá-gárhïs. So wurde aus den Nà-gárhïs die Gárhïs, meine Vorfahren die der Magie entsagten und die Bàndagárhïs, die die Magie zum Heilen des Landes und für ihr Überleben behielten.”

Im Mondlicht sah man die übrigen Clanmitglieder ein Camp aufbauen. Die Schamanen der vier Clans zogen sich in ihre Zelte zurück um zu Beten.

“So wie unsere Schwestern und Brüder der Bàndagárhïs ein von Magie verwüstetes Land vorfanden und erkannten, daß Überleben nur mit Ihrer Hilfe möglich sei, so hatten dies auch unsere Schamanen erkannt und riefen nun Maerhïs und Doaÿúd an.”

Im schimmernden Licht der Säule formierten sich die Clans um ihre Schamanen. Nach kurzer Beratung schienen drei der vier Clans zu packen und sich in verschiedene Richtungen um den Rand herum auf den Weg zu machen.

“Der Preis für Ihre Hilfe war das Blut der vier Clanobersten und so machten sich die Clans auf die vier Kardinalpunkte am Rand einzunehmen. Graskatze, Munhë im Osten, sie hatten den weitesten Weg, Falke, Frayhë im Süden, Steppenwolf, Bàndrïs im Norden und Antilope, Ayhàn im Westen. Dann war es so weit, alle Clans hatten den ihnen bestimmten Punkt erreicht und bei Sonnenuntergang gaben die Clanobersten ihr Leben hin. Jeder wie er es für richtig hielt und bei Mondaufgang kam Sie.”

Abermals verändert sich das Bild in der Mondlichtsäule:
Am Kraterrand in Mitten des Clanvolkes stehend, den Geruch von verbrannter Erde in der Nase, das Heulen des Windes und gelegentliches Kinderweinen in den Ohren, starren alle gebannt in den Krater. Riesengroß in einer Säule aus schwarzsamtener, sternenübersäter Nacht, umspielt von Mondlicht steht Sie, Maërhïs. Ihr Gesicht wandelt sich von Moment zu Moment, von der lieblichen Maid zur ehrwürdigen Alten, von der asketischen Kämpferin zur nährenden Mutter und wieder zurück. Ihre Stimme ist wie Samt und Stahl und durchdringt das Sein aller Clans:

“So wie ich die Gebete eurer Schwestern und Brüder der Bàndagárhïs erhört habe, so habe ich auch euch gehört. Doch so wie sie müßt auch ihr einen Preis für das was ihr von mir verlangt zahlen.² ²In Blut?² fragt einer der Schamanen für alle hörbar. ²Nein - nicht in Blut aber mit eurem leben, jeder von euch. ich gebe euch eure Heimat zurück, doch der Preis ist ewige Wachsamkeit.”

Sie hält Ihre Hand hoch und auf Ihrer Handfläche erscheint der Krater. Unter der Asche und den verbrannten Steinen lagen im Zentrum des Kraters formlose Dinge die in einem bösartigen Violett leuchteten.

“Drei Dinge haben eure Heimat vernichtet. Die zerstörerischen Sprüche des Feindes, die Selbstzerstörung des magischen Portals durch das ihr geflohen seid und der Todesstreich eures Herren Urtho's, der den Feind völlig vernichten sollte zum Preis von Urtho's und seines Champions Tod. Aber trotz alledem liegen hier noch viele magische Waffen aus Urtho's Arsenal begraben. Ein Teil davon ist noch verwendbar und könnten großes Unheil anrichten wenn sie in die falschen Hände geraten. Ja, diese Waffen sind selbst für diejenigen gefährlich, die gute Absichten haben. Aber da ihr der Magie für alle Zeiten abschwören habt stellen solche Dinge für euch keine Versuchung dar.” Man fühlt die Zustimmung aller Clans die um den Kraterrand verteilt waren.

“Höret dann den Preis für eure Heimat: Ihr müßt euer neues Land bewachen. Ihr werdet Fremde unter allen Umständen fern halten, es sei den sie verpflichten sich den Clans oder sind Verbündete, die von Mir begutachtet wurden. dies müßt ihr Schamanen Mir ermöglichen und Ich werde sie so kennzeichnen, daß ihr sie erkennen werdet. Ihr werdet nie wieder einem Herrscher die Treue schwören, sondern nur euch selbst und den Mächten. All eure Kinder die mit der Gabe der Magie geboren werden müssen entweder das Handwerk eines Schamanen oder Heilers erlernen oder zu euren Schwestern und Brüdern der Bàndagárhïs geschickt werden oder ihr müßt den Schamanen erlauben die Magiebegabung für immer zu blockieren.”

Die Clans überlegten nicht lange, obwohl der Preis wahrlich ein Opfer bringen hieß. Ihre Freiheit und bis zu einem gewissen Grad auch ihr freier Wille nicht nur für diese, sondern auch für alle kommenden Generationen. Die Clans würden sich zu ewigem Dienst und Wachsamkeit verpflichten, doch dafür würden sie ihre Heimat wieder bekommen. Dennoch zögerten sie nicht mit ihrer Zustimmung.

“Es ist gut!” sprach Maërhïs, breitete Ihre Hände aus, stieg in den Krater und begann zu gehen. Wo Ihre Füße den Boden berührten entsprang ein Teppich aus Blumen, Gras und Bäumen. Ein Teppich der sich einer grünen Flut gleich, über die Ruinen ergoß, als Sie westwärts schritt.


© ca. 1989/90 Susanne Mayer und Ulrike Zillinger