Beilage zur Neuen Kronen Zeitung vom Sonntag, 10. August 2003

Von Kriegern, Schwertern und Dämonen

Schauspielen ohne Publikum: Live-Rollenspiel in Göstling (NÖ) oder doch das düstere Zeitalter der Kelten?
Sie zögern nicht, ihre Waffe zu ziehen. Denn zum Kämpfen sind sie da. Ob Finanzberater, Koch oder Student - am Wochenende zeigen sie ihr zweites Ich. Mit Kettenhemd und Kriegsbemalung ringen sie bei Live-Rollenspielen um die Ehre ihres Clans.
Die meisten Kostüme und Requisiten haben sich die Teilnehmer selbst gebastelt. Keine Angst, die Waffen sind alle aus Schaumgummi.

Von Elisabeth Patsios (Text) und Ingo Derschmidt (Photos)

Man hört sie, aber man sieht sie nicht. Sie grunzen und brummen - ihre Schritte sind schnell. Da tauchen schon die ersten Lanzen hinter dem Hügel auf. Wüßte man es nicht besser, man würde instinktiv Reißaus nehmen. Denn die Masken sehen verdammt echt aus.
Es sind keltische Dämonen, die das Zeltlager stürmen, einen Totenkopf stehlen und dann im Dickicht verschwinden. Der Aufruhr ist groß. Von links nach rechts rennen bewaffnete Hünen, Schwerter zerschneiden die Lunft und Lanzen stechen zu. Dazwischen aufgeregte Damen in langen Gewändern - Burgfräulein ähnlich - und mittendrin der schweigende Magier in schwarzer Kutte mit zauberstab. Bei solchen Keilereien ist es ratsam, die Besucherschleife sichtbar zu tragnen...
"Es gibt immer noch Leute, die glauben, wir halten Blutrituale ab", lacht ein Spieler. "Und mancher Wanderer zuckt bei unserem Anblick zusammen." Dabei ist das Live-Rollenspiel ein Hobby wie jedes andere, so der allgemeine Tenor.
Aus zahmen Bürohengsten werden hier stählerne Kerle, die sich uneingeschränkt geben dürfen, wie sie wollen: laut, kämpferisch oder hungrig.
"Teil der Handlung zu sein verursacht bei mir ein Kribbeln im Körper", erzählt der Student Gernot, 38 Jahre alt und Vater einer kleinen Tochter. "Das Adrenalin pumpt, es ist wie im Fahrsimulator."
80 Männer und Frauen liegen drei Tage lang im Dauer-Clinch. Schauspiel des keltischen Fantasieszenarios ist ein verlassener Bauerhof bei Göstling an der Ybbs, Berge Wälder, von Zivilisation keine Spur. Bis auf den Mega-PC im Extrakammerl zur Organisation. Alles soll so authentisch aussehen wie möglich. Von den selbstgegossenen Münzen über die eigens geschiedeten Pfannen bis zu der mit Wildschweinfellen ausstaffierten Taverne "Zum trunkenen Bären". Hier erholen sich die Wochenend-Haudegen von der Schlacht. Man schlürft Honigwein oder Bier aus dem Horn.

"So muss man immer gleich austrinken, denn das Horn ist schwer abzustellen", erläutert ein lallender Spieler die kleinen Tücken des vergangenen Zeitalter. Auch die Toten gönnen sich hier eine Pause. Gernot hat gerade in einem Gefecht den Kürzeren gezogen und sieht enttäuscht aus:"Jetzt hänge ich in der Luft." Denn wer seine Lebenspunkte verwirkt hat, dessen Charakterrolle ist für den Rest der Veranstaltung gestrichen.
"Es gibt Fressen!" Das Abendbrot ist angekündigt. Der Clan der McDonalds war übrigens schon bei den Kelten für die Verpflegung zuständig. Die Krieger müssen sich nun für die Nacht stärken, wenn neuerliche Angriffe der behaarten Bestien drohen. "Unsere Keulen schwingen wir heute sicher noch", geben sich die Herren angriffslustig. Aber bis dahin wird Faschiertes mit Knoblauchsuce geschaufelt. Der Schmäh rennt ohne Ende: "Wer ich bin, fragt ihr? Sänder, Säufer, Söldner. Aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge", tönt der erfahrene Live-Rollenspieler Ratmar. Für das Spiel scherte er sich extra seine Haare. "Gut ist ein Spieler dann, wenn er glaubwürdig in der Rolle bleibt."
Im Klartext: keine Zigarette verlangen, sondern Zwergenkraut. Und wenn unbedingt ein Schokoriegel übers Wochenende mit muss, dann die Plastikverpackung ja verstecken! In der Praxis ist es jedoch wie auf dem Fußballplatz: Der größte Part grölt einfach gern. Auch Spielleiterin Margot erzählt hinter vorgehaltener Hand: "Neue Leute versuchen wir immer in die Nähe von guten Spielern zu bringen."
Harte Kritik trifft die schwarzen Schafe, die es bekanntlich in jeder Gruppe gibt. Solche, die nicht mehr einschätzen können, wann die Schläge mit den Schaumgummiwaffen genug sind. "Aber die meisten beachten die Regeln", lenken die Spieler bei dem heiklen Thema ein. Nach zwei Tagen Schlafentzug machen sich die Dämonen und Clans aus ganz Österreich völlig entkräftet wieder auf die Heimreise. Zurück ins Büro, in die Werkstatt oder hinter den Bankschalter...

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