Presse vom Nov. 1996

Elfenblut und Zauberei:

Spielen mit Phantasie

Rollenspiele - daheim am Küchentisch oder in der freien Natur - erfreuen sich einer wachsenden Anhängerschaft. Derzeit sind sie aber noch ein Minderheitenprogramm.

VON ANDREAS ZENKER

WIEN. Der Erholung heischende Spaziergänger erschrak nicht wenig, als sich einige Meter vor ihm das Gebüsch am Rande des Waldweges teilte und eine grausliche Bestie mit entstelltem Gesicht brüllend auf ihn losstürmte. Doch Rettung nahte stehenden Fußes: Aus dem gegenüberliegenden Gebüsch brachen ein paar Gepanzerte hervor, die dem Biest mit Morgensternen, Bihändern und Parierschwertern unverzüglich den Garaus machten, während sich eine Elfe vom Baum abseilte und ein Priester die beschauliche Szene segnete.
Kein Alptraum hatte den Spaziergänger gepeinigt, er war nur unvermutet in eine Darstellung von Anhängern eines Life-Rollenspiels geraten - und durfte sich anschließend im Lager der Akteure, wo einige Pferde weideten, laben.
“Rollenspiele sind Stegreiftheater ohne Publikum”, erklärt Spielleiter (“Master”) Oliver Kudlacek. Rollenspiele werden zumeist daheim von mehreren Spielern ausgetragen. Es gibt verschiedene Welten - “Fantasy” spielt etwa unter Kämpfern, Elfen, Zwergen und Hexen, andere Welten spielen in der Zukunft oder heißen gar “Plüsch, Power, Plunder”.
Wichtigstes Requisit für daheim sind die Würfel, von denen es drei-, vier-, sechs-, acht-, zwölf-, 20- und 100seitige gibt. Mit ihnen erwürfelt sich der Spielteilnehmer nach vorgegebenen Schemata seine Charakterzüge. Der Würfel bestimmt also, wie gut der Magier zaubern kann, wie stark der Kämpfer ist etc. Der Master treibt die Geschichte mit Erzählungen voran und stellt die Spielrunde vor unzählige Aufgaben. Er allein weiß, hinter welchen Türen die Drachen lauern und hinter welcher etwa die gute Fee.

Die Spieler haben zumeist eine Aufgabe - jemanden zu befreien, etwas bestimmtes zu suchen etc. Je länger ein Charakter an einer Runde teilnimmt - das kann sich über Jahre hinstrecken - desto stärker wird er, weil er für bestandene Abenteuer gewisse Punkte zugeteilt bekommt, die seinen erwürfelten Charakter verbessern. Andererseits kann es auch passieren, daß ein Charakter dem Drachen unterliegt. Denn die Würfel entscheiden auch über die Stärke der Treffer - fällt er in diesem Fall etwa auf 100, bedeutet das das Ende.

Detailreiche Kleidung

Beim Life-Rollenspiel - dem Stegreiftheater ohne Publikum - gibt es ebenfalls einen Master sowie zahlreiche “Non playing charakters”, die Stützen der im vorhinein ausgedachten Handlung sind. Hier entscheidet der Master über Sieg oder Niederlage, da selbstverständlich nicht hart zur Sache gegangen wird - schon der schönen, detailgetreuen und selbstgeschneiderten Kleidung wegen.
Die Abenteuer werden zumeist aus (englischsprachigen) Büchern übernommen oder - im Falle der Life-Abenteuer - einfach erfunden. Betuchtere Spielgemeinschaften mieten sich wochenendweise in Ruinen oder Burgen ein, für andere tun´s Wälder und Aulandschaften auch.
“Die Rollenspiele gibt es ungefähr seit den siebziger Jahren”, berichtet Kudlacek. “Dungeon & Dragons” - Verliese und Drachen - waren die ersten Abenteuer, die aus den Vereinigten Staaten kamen.
In Österreich gibt es bereits mehrere Vereine. Der größte ist (vermutlich, denn die Dunkelziffer ist wahrscheinlich groß) “Ariochs Erben”, der es auf rund 60 Mitglieder bringt, die zumeist selbst Spielgemeinschaften als Master vorstehen. Die reine “Life”-Szene wird von Spiel-Insidern auf rund 400 bis 500 Personen geschätzt.
Weitere Informationen: Ariochs Erben c/o Peter Zillinger, Siebenbrunnenfeldg. 1/31/1/5, 1050 Wien oder Die Presse 514 14/471

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