Presse vom 22.11.1999

Wien ist die mächtigste Vampirstadt

Das Spielefest hat am Wochenende wieder an die 50.000 Spielbegeisterte ins Austria Center gelockt. Von neuen Brettspielen, alten Spiele-Klassikern bis hin zu Live-Rollenspielen, wurde alles geboten.
VON BERNHARD BAUMGARTNER

WIEN. Furchterregend sieht er aus. Das bleiche Gesicht mit dicken, schwarzen Ringen unter den Augen. Der wallende schwarze Samtmantel läßt jede Bewegung des vermeintlich lebenden Toten majestätisch wirken. Ein kleiner Bub kommt vorbei, sieht den "Vampir", und greift reflexartig nach der Hand seiner Mutter. Dabei ist der "Obervampir" eigentlich ganz umgänglich. Alexander Schuller heißt er und ist der Obmann des Live-Rollenspielvereins Phönix. "Wir tragen, hier am Spielefest die Europameisterschaft des Kartenspiels Vampire - the mascarade aus", erklärt Schuller. 50 Spieler aus ganz Europa, alle schwarz verkleiden, spielen um den EMTitel. An die 50.000 spielbegeisterte Wiener, etwa so viele wie im vergangenen Jahr, sind dem Ruf der Veranstalter auch heuer gefolgt und haben im Austria Center Vienna das 15. Spielefest besucht. Über 5000 Spiele lagen in der Spielothek bereit, um von den Besuchern ausgiebig getestet zu werden.
Eintauchen, abschalten
Das Herzstück des Spielefests ist der große Saal des Austria Centers. In ihm finden sich an die 1000 Spieltische. Bis in die Galerie hinauf stehen die Tische dicht gedrängt. Die Atmosphäre ist voll mit spielerischer Spannung. Friedlich spielen hier tausende Menschen miteinander.

"Spätestens nach dem ersten Spielzug vergißt man den Lärm rundherum", erzäht Susanne Michael, die mit zwei Freundinnen gekommen ist. Wer keinen freien Tisch ergattert hat, setzt sich einfach auf den Boden.
Wolfgang Kramer kennt Tikal, das heurige Spiel des Jahres, sehr gut. Er hat es nämlich erfunden. Auch der Autor mischt sich gerne unter die Besucher des Spielefests, und erklärt manchem, verloren ins Regelbuch blickenden Spieler die Regeln seines Urwald-Entdecker-Spiels. "Dabei haben wir die Regeln ohnehin noch abgespeckt, sonst hätte man noch viel mehr lesen müssen", erzählt der Autor.
"Das Spielefest ist in dieser Form einzigartig, es gibt in ganz Europa keine vergleichbare Veranstaltung", erzählt Claudius Halik vom Veranstalter IG Spiele. Einzig im deutschen Essen gibt es einmal jährlich eine große Spielemesse. Da könne man die Spiele aber nicht ausborgen, sondern nur kaufen.
Bei den Vampir-Spielem wird derweilen noch immer verbissen um den Europamei-stertitel gerungen. Spielleiter Schuller weiß um den Hinter-grund des Kartenspiels. Der US-Autor des von rund 10.000 Menschen weltweit re-gelmäßig gespielten "Vam-pire" hat die Handlung in Wien angesetzt. Hier regiere der "Tremere"-Clan des Johann von Habsburg, der im Jahr 1311 auf mysteriöse Wei-se verschwunden sei. "Und deshalb", erzählt Schuller und macht eine bedeutungsvolle Geste zum Fenster, "ist Wien die mächtigste Vampirstadt."

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